Wir leben in einer herausfordernden Zeit, die Corona-Pandemie stellt viele Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft in Frage. Und es ist nicht immer leicht, mit solchen ungewohnten Situationen umzugehen. Das merke ich etwa daran, dass ich immer noch den Impuls, einem anderen, den ich auf der Straße treffe, die Hand zu geben, unterdrücken muss. Überall ist physische Distanz gefordert. Das social distancing ist angesagt. In diesem Begriff zeigt sich nun die Herausforderung: Es geht nicht darum, sich sozial zu isolieren, sondern gerade im Gegenteil Möglichkeiten sozialer Nähe in physischer Distanz zu entwickeln. Hier haben uns die neu entwickelten digitalen Systeme, Smartphones oder Computer, sehr geholfen, ohne sie wäre es nicht möglich, soziale Nähe in dem Maß, wie wir es zum Teil erreichen können, zu schaffen. Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass diese digitalen Mittel auf Dauer nicht Ersatz der direkten Begegnung sein können, sondern eine wichtige Ergänzung.

Das gilt auch für unseren Verein, der gerade in einer Phase der Umorientierung von Corona teilweise stark gebremst worden ist. Die Pandemie vermittelt uns aber auch wichtige Impulse für eine Neuaufstellung. Zum Beispiel zeigt sich, dass die Instrumente des Austauschens von Hilfe schon vorher gefestigt sein müssen, wenn sie in Krisenzeiten Anwendung finden sollen. Weiters zeigt sich, dass wir eine Kooperation mit Vereinen und Gemeinden intensivieren müssen, um besser auf die Bedürfnisse unserer Mitglieder reagieren zu können. Der Umgang mit der Zeit in einer uns aufgezwungenen Entschleunigung stellt einen weiteren Punkt der Herausforderung dar. Das sind nur ein paar Punkte, viele andere müssen berücksichtigt werden.

Bevor wir diese Veränderungen durchführen können, ist es wichtig, dass wir die Corona-Zeit gut überstehen. Mit der entsprechenden Rücksicht aufeinander und im Halten von sozialer Nähe auch in physischer Distanz werden wir es schaffen. Es gilt Verantwortung zu zeigen; und wenn die mitunter auch nur einseitig ist, weil andere nicht bereit sind, sie zu tragen.

In stockdunkler Nacht geht ein Blinder durch die engen Gassen seines Städtchens. Auf der Schulter trägt er einen Krug, in der Hand hält er eine brennende Lampe. Mit großer Vorsicht tastet er sich vorwärts. Ein Mann, der den Blinden kennt, kommt ihm entgegen und fängt sofort an, ihn von oben herab zu behandeln. „Dass du blind bist, das wusste ich schon immer, aber dass du dumm bist, das habe ich bis jetzt nicht gewusst. Du bist doch total blind und siehst überhaupt nichts. Welche Dummheit, dass du da eine brennende Lampe trägst! Damit wird dein Sehen auch nicht besser!“ Der Blinde lacht und antwortet: „Die Lampe leuchtet auch nicht für mich. Sie ist für so unvernünftige Leute wie dich, damit sie mich in der Dunkelheit nicht anrempeln und so meinen Krug nicht zerbrechen.“

Mit den Lichtern, die wir zum Leuchten bringen, können wir unsere Verantwortung tragen und auch anderen Anstoß geben, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es ist aber auch wichtig, den Verantwortlichen in Politik, in Wirtschaft und Gesellschaft, besonders denen im Gesundheitswesen zu danken für ihren Einsatz und ihre Weitsicht. Eine Form des Dankes wird darin bestehen, dass wir unsere Verantwortung dort, wo wir Handlungsmöglichkeiten haben, wahrnehmen. Das wollen wir auch als Verein tun, um damit unseren Beitrag zur Gestaltung unserer Gesellschaft in verantwortlicher Weise zu leisten.

Mit herzlichem Dank für Ihr Mittun und Mittragen unseres Auftrages wünsche ich Ihnen alles Gute für die herausfordernde Zeit und bringe meine Hoffnung zum Ausdruck, dass wir bald wieder in einer erneuerten Normalität zusammenkommen und dann eine Jahreshauptversammlung in direkter Begegnung abhalten können.

a.o. Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold
Obmann des Zeit-Hilfs-Netz Steiermark

 

Foto: © Andrea Tackner